Der Deutsche Journalisten Verband (DJV) hat sich mit der Zukunft des Journalismus befasst. Dazu gab es eine „Arbeitsgruppe Zukunft“, diese ist zwar auf der Internetseite nicht zu finden, aber durch den Blogbeitrag von Carolin Neumann lässt sich zumindest erkennen, wer darin mitgewirkt hat. Neben Carolin Neumann waren dies Kathrin KonyenTimo Stoppacher, Eva WernerFabienne KinzelmannSebastian ChristLeif Kramp und Sascha Venohr.

Das Ergebnis dieser Arbeitsgruppe erhielten alle Delegierten per Post in Form eines Antrags für den Verbandstag, der ab dem 4. November in Hannover stattfindet. Dort werden acht Thesen als das Zwischenergebnis der „innerverbandlichen Diskussion“ vorgestellt, wo ich mich als (durchaus engagiertes) DJV-Mitglied frage, wo und wann diese Diskussion stattgefunden haben soll.

Journalisten und BWL-Kentnisse

Noch mehr wundere ich mich beim lesen der Thesen, die ich weiter unten dokumentiere. Was mich daran generell stört ist: Es fehlt die Zukunft, die Vision, vieles was dort beschrieben wird, ist bereits Gegenwart, andere Punkte sind löbliche Wünsche.
Doch meist ist es eine Beschreibung von Zuständen, die so schon teilweise Realität sind. Und an den Stellen, an denen es darüber hinaus geht, wird der Kern der Sache häufig nicht getroffen. So wird zunächst genannt, dass immer mehr Journalisten freiberuflich arbeiten, und daher unternehmerische Fähigkeiten benötigen. Dem wird jeder zustimmen, doch merke ich in der Praxis, das bei vielen diese Kompetenzen fehlen. Ich habe eine Ausbildung als Bankkaufmann gemacht, aber das kann ich nicht jedem angehenden Journalisten empfehlen.

Wissen rund um Finanzierung, Kalkulation, Rechtsformen und Marketing sollte also Teil der journalistischen Ausbildung werden, dies wäre die nötige Konsequenz aus dem Punkt. Bei weiteren Punkten wie „Journalisten werden zunehmend als Marke wahrgenommen“ wird dies ebenfalls genannt, überhaupt wird die Frage der BWL-Kenntnisse (siehe auch „Journalistinnen und Journalisten werden zu Unternehmern“) zu einem Schwerpunkt.

Ich stehe mit meiner Gründung sicherlich auch für den beschriebenen Trend des Journalisten als Unternehmer. Doch auch hier wird nur geschildert aber nicht aufgezeigt, was diese Änderung bedeutet. Aus meiner Praxiserfahrung lässt sich nur sagen, dass es mit den BWL-Kentnissen nicht getan ist. Ein funktionierendes Netzwerk und eine gute Rechtsberatung sind mindestens genau so wichtig. Dazu kommt ein tragfähiges Geschäftsmodell was entscheidend ist.

„Das Schaffen von Freiräumen wirkt der Abwanderung in andere Berufe entgegen“, heißt es in den Thesen. Doch die Tendenz ist schon heute: Immer wenige junge Journalisten kommen überhaupt erst in den Beruf und starten gleich in anderen Bereichen. Daran dürften auch die Aussichten auf Sabbaticals nicht mehr ändern. „Journalistinnen und Journalisten treten für ihre Kolleginnen und Kollegen ein, auch Festangestellte für Freie und umgekehrt.“ Das ist ein erstrebenswerter Wunsch, wird aber in der Zweiklassengesellschaft, die sich in der Branche etabliert hat, kaum durchzusetzen sein.

Journalisten als Marke

Den Verfassern der Thesen scheint außerdem ein weiter Gedanke extrem wichtig zu sein: Journalisten, die eine Community aufbauen, transparent, publikums- und prozessorientiert zu arbeiten. Ein These wie sie in die Zeit passt. Aber genau so, wie Crowdsourcing nicht die Lösung für generelle Finanzierungsprobleme im Journalismus ist, so wird auch Transparenz nicht das Ansehen, und damit den Wert der Arbeit steigern können.

Ich verweise an dieser Stelle auf die zehn Thesen die wir damals kurz nach unserer Gründung aufgestellt haben. Ich glaube nach wie vor daran, dass sich die Branche in der nahen Zukunft weiter nachhaltig ändern wird, das nichts mehr so sein wird, wie es einmal war. Es wird „Contentschubsen“ geben, die zu Dumpinglöhnen Inhalte billig zusammenschustern, und es wird die Alpha-Journalisten geben, die eine Marke sind, die unternehmerisch Denken und entsprechend verdienen. Es wird eine dramatische Situation bei Lokalzeitungen geben, und wenig neue Modell die so tragfähig sind, dass die den Stellenabbau in anderen Bereichen kompensieren werden. Das nur ein kleiner Ausblick Ausblick in die Zukunft. Und auch die Möglichkeit für ein Sabbaticals wird das auch nicht ändern können. Für Zukunftsthesen wäre hier zumindest ein Blick auf zukünftige Geschäftsmodelle, Aufgaben und Ausrichtungen wünschenswert gewesen.

Die Thesen

1. Die Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten arbeitet freiberuflich
Auf dem gesamten Arbeitsmarkt sind zunehmend Freiberufler tätig. Die Zunahme im journalistischen Bereich ist noch deutlich stärker als generell auf dem Arbeitsmarkt Dabei wird es für die freien Journalistinnen und Journalisten immer wichtiger, ein tragfähiges Geschäftsmodell zu entwickeln und auch umzusetzen. Unternehmerische Kenntnisse und Fähigkeiten der Selbstvermarktung werden deshalb eine wichtige Voraussetzung für beruflichen Erfolg. Im Gegenzug verlieren klassische Tarifverträge, betriebliche Vereinbarungen und andere arbeitnehmerbezogene Errungenschaften quantitativ an Bedeutung.

2. Festangestellte werden zu Redaktionsmanagern
Schon heute arbeiten Redakteurinnen und Redakteure häufig als Redaktionsmanager: Sie planen, stimmen sich intern ab und vergeben Aufträge an Freie. Durch die Auflösung von klassischen Arbeitsformen, in denen alle Beteiligten in der Redaktion vor Ort sind, sind neue Abläufe erforderlich, die sicherstellen, dass die journalistisch Tätigen in Entscheidungsprozesse eingebunden sind. Freie Journalisten gelten nicht als zweitrangige und leicht austauschbare Lieferanten, sondern sind integraler Bestandteil einer Redaktion. Das muss finanziell wie rechtlich angemessen berücksichtigt werden. Die überwiegend autodidaktisch angeeigneten Managementkompetenzen unter Journalisten müssen durch strukturierte Bildungsangebote fundiert werden und dürfen nicht zu einer unangemessenen Belastung sowohl der festen als auch der freien Redaktionsmitarbeiter führen.

3. Journalistinnen und Journalisten werden zunehmend als Marke wahrgenommen
Jeder Journalist gewinnt als Marke an Bedeutung. Sich selbst als Marke zu verstehen ist daher unabhängig vom Beschäftigungsverhältnis wichtig. Mit seinem Namen steht er für Qualität, für spezielle Themenfelder und auch für eine bestimmte Haltung. Medienhäuser erwarten, dass Journalisten ihr eigenes Netzwerk aus Nutzern, also ihre eigenen Communitys, aufbauen und diese einbringen, wenn sie neu in ein Unternehmen kommen. Die Community folgt dem Journalisten auch zu wechselnden Arbeitgebern oder in die Selbständigkeit. Das kann über Mediengrenzen hinweg erfolgen. Leser bzw. Zuschauer werden zu Garanten der Glaubwürdigkeit. Sie sind dabei verstärkt in den Arbeitsprozess – von der Recherche bis zur Veröffentlichung – eingebunden. Training für den Aufbau und die Pflege von “Human Brands“, also Personenmarken sowie Training zur optimalen Einbindung der Zielgruppe sind wichtiger Bestandteil der Aus- und Weiterbildung.

4. Digitale Kompetenz ist eine wichtige Bedingung für Erfolg
Technologie und Innovation werden verstärkt zu Erfolgsfaktoren – für die Medienbetriebe und für Journalistinnen und Journalisten selbst, egal ob es sich um Feste oder Freie handelt. Neugierde auftechnische Möglichkeiten und innovative Ansätze sind neben den bisherigen journalistischen Kernkompetenzen selbstverständlich. Nicht nur digital arbeitende Journalisten bedürfen in Zukunft eines grundlegenden Verständnisses für die Technologien, mit denen sie arbeiten können und dem, was dahinter steckt. Journalisten müssen nicht Programmierer sein, doch für interdisziplinäres Arbeiten ist das Verständnis von deren Arbeit von Bedeutung. Die Organisationsstrukturen in den Medienbetrieben werden sich diesen Erfordernissen anpassen müssen. Sie müssen sich der technologischen Realität anpassen und flexibler werden. Die neuen Anforderungen dürfen jedoch nicht dazu führen, primär technische Aufgaben vollständig auf journalistisch Tätige auszulagern.

5. Journalistin/Journalist ist derjenige, der verbindet und interagiert
Journalistische Arbeit wird zu einem transparenten Prozess. Wichtig ist das Einbinden der Leser durch direkten Dialog, Crowdsourcing etc. Publikumspflege wird zu einem Teil des journalistischen Prozesses. Journalisten müssen die Rezipienten auch auf neuen Wegen erreichen. Es gilt, transparent, publikums- und prozessorientiert zu arbeiten. Journalisten können in der Regel nicht mehr wochenlang recherchieren, ohne ein (Zwischen-)Ergebnis öffentlich zu machen. Ausnahmen bleiben natürlich investigative, sensible Recherchen. Die verschiedenen Zielgruppen werden über verschiedene Kanäle angesprochen. Daher ist mehr Vielfalt in den Redaktionen erforderlich – sowohl bei Themen als auch bei den Mitarbeitern – um als Massenmedium, z.B. Lokalzeitung, ein möglichst großes Publikum zu erreichen. Medien, bei denen die Leser nicht das Gefühl haben, ernst genommen zu werden, verlieren an Bedeutung. Für Redaktionen bedeutet das eine Umstellung. Vor allem aber müssen Journalisten ihre Fertigkeiten erweitern, um für diesen Dialog gerüstet zu sein. Wichtig sind vor allem Offenheit und Kommunikationskompetenzen.

6. Journalistinnen und Journalisten werden zu Unternehmern
Einhergehend damit, dass die Zahl der freien Journalistinnen und Journalisten zunimmt und die eigene Marke immer bedeutsamer wird, finden immer mehr Journalistinnen und Journalisten Ansatzpunkte für eine Unternehmensgründung. Vor allem der technische Fortschritt und die Möglichkeiten, die das Internet, Social Media und Co. für den Journalismus bieten, führen dazu, dass Journalisten zu Startup-Gründern werden. Sie probieren auf dem freien Markt aus, was in Redaktionen fehlt und tragen dazu bei, den Journalismus auf inhaltlicher wie struktureller Ebene neu zu formen. Ein solch innovatives Unternehmertum wird für alle im Journalismus Tätigen wichtiger, auch für Festangestellte. Kenntnisse der Betriebswirtschaft gewinnen an Bedeutung ohne dabei journalistische Unabhängigkeit einzuschränken. So entstehen Innovationen, die mögliche Lösungen für wirtschaftliche Probleme sind.

7. Journalistinnen und Journalisten haben Freiräume
Journalismus ist ein Beruf für Menschen mit Leidenschaft und einer hohen Leistungsbereitschaft. Freiräume gehören für sie zu guten Arbeitsbedingungen. Das Schaffen von Freiräumen wirkt der Abwanderung in andere Berufe entgegen. Nachrichtenjournalismus in Echtzeit wird mit einer neuen Arbeitsaufteilung begegnet, der Schichtarbeit mit mehr Personal. Die Arbeitsverdichtung nimmt generell ab. Präsenzkultur mit festen Arbeitszeiten und vielen Überstunden gehört in vielen Bereichen der Vergangenheit an. Journalistinnen und Journalisten haben die Möglichkeit, auch von Zuhause aus oder im Co-Working zu arbeiten. Co-Working als Arbeitsform gewinnt generell an Bedeutung – nicht nur für Freiberufler und Startups. Durch die Zusammenarbeit mit anderen in größeren Räumen können Journalisten von anderen profitieren. Zu den Freiräumen gehört auch zum Beispiel die Möglichkeit zu Sabbaticals, also zu einem Jahr Auszeit oder Teilzeitarbeit. Um Freiräume zu schaffen, gilt es auch, die Sozialleistungen zu erhöhen – auch weil immaterielle Anreize, die früher den Reiz des Berufs aus- machten, kaum mehr vorhanden sind, z.B. Reisen und häufige Außentermine. Schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Honorare und mangelnde Freiräume gehören der Vergangenheit an.

8. Solidarität prägt den Umgang
Journalistinnen und Journalisten gehören einem Berufsstand an, der gemeinsam mehr erreicht. Das Bedürfnis nach Solidarität wächst. Konkurrenzdenken und Misstrauen sind Eigenschaften, die erfolgreichem Journalismus entgegenwirken. Gerade in Zeiten des Umbruchs bestimmt Solidarität den Umgang von Journalistinnen und Journalisten untereinander. Journalistinnen und Journalisten treten für ihre Kolleginnen und Kollegen ein, auch Festangestellte für Freie und umgekehrt. In der Aus- und Weiterbildung muss daher nicht nur auf gemeinsam geteilte Regelstrukturen abgestellt werden, sondern auch auf eine berufliche Identität, die sowohl moralethische Aspekte als auch Solidarität untereinander beinhaltet.